Ein Lyriker der Zeitenwende: Georg Trakl

Am Rand der schweren Schlachten zu Beginn des Ersten Weltkriegs starb am 3. November 1914 der 27jährige Salzburger Dichter Georg Trakl in der psychiatrischen Abteilung des Garnisonsspitals in Krakau an den Folgen einer Kokainvergiftung.

Mit ihm verstummte frühzeitig eine der größten Begabungen der österreichischen Dichtung des 20. Jahrhunderts. Zwei Gedichtbände hatte er noch zusammengestellt, der zweite erschien erst nach seinem Tod. Sie sollten ihn weit über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt machen und auf viele nachfolgende Dichter ausstrahlen. Auch in der Musik und in der Malerei hat seine Dichtung bis heute anregend gewirkt.

Aufstieg der Familie

Georg Trakl war ein Kind des alten Österreich: Die Mutter Maria war tschechischer Abstammung, sein Vater Tobias kam aus einer Kaufmannsfamilie in Ödenburg (Sopron). In Wiener Neustadt lernten sie sich kennen und heirateten. Nach der Übersiedlung der Familie nach Salzburg 1879 gelang dem Vater als Eisenhändler ein steiler wirtschaftlicher Aufstieg. In einem Altstadthaus an der Salzach wurde Georg Trakl am 3. Februar 1887 als viertes von sechs Kindern geboren und zuhause protestantisch getauft.

Die Erziehung der Kinder lag großteils in den Händen einer katholischen Gouvernante aus dem Elsass, die auch für den französischen Sprachunterricht sorgen sollte. Denn man pflegte einen in dieser Umgebung großbürgerlich wirkenden Lebensstil, legte Wert auf eine gute Schulausbildung und die Teilnahme am kulturellen Leben, sorgte für einen anspruchsvollen Klavierunterricht und schickte die Töchter in ausländische Internate. 1893 eröffnete der Vater ein eigenes Geschäft am Salzburger Mozartplatz.

Trakls Kindheit

Georg Trakl wuchs in dieser nach außen hin behüteten Bürgerwelt auf, war „ein Kind wie wir anderen auch“, meinte sein jüngerer Bruder Fritz später. Trakl besuchte die fünfjährige Übungsschule des Lehrerseminars; Religionsunterricht erhielt er im protestantischen Pfarrhaus, wo er mit der Welt der Bibel vertraut gemacht wurde, die als Bildquelle für seine Gedichte bedeutsam wurde. Im Salettl des in der Nähe gepachteten Gartens lernte er nicht nur Französisch, sondern er las dort viel und schrieb auch seine ersten Gedichte. Nikolaus Lenau war ihm ein frühes Vorbild und Spuren seines Einflusses sind noch in Trakls späten Gedichten zu finden.
Als 10jähriger wechselte Trakl ins humanistische Gymnasium, das sich im selben Schulgebäude befand. Somit nahm er 13 Jahre lang denselben Schulweg, der ihn durch die Salzburger Altstadt führte, deren Szenerie sich ihm tief einprägte.

Jugendliche Krise

Gegen Ende der Unterstufe, am Beginn der Pubertät, hatte Trakl zunehmend schulische Schwierigkeiten. Schließlich musste er die 4. Klasse wiederholen, worauf er mit Trotz und in der Folge mit Gleichgültigkeit reagierte. Er ging verstärkt seinen literarischen Interessen nach, las Friedrich Nietzsche, Henrik Ibsen, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler und vor allem die Romane Fjodor Dostojewskis, von deren Mitleidsthematik er sich besonders angesprochen fühlte. Charles Baudelaires „Les Fleurs du Mal“ regten ihn zu eigenen provokanten Gedichten an und bereiteten ihm den Weg in die Moderne; später noch stärker die Beschäftigung mit den Werken Paul Verlaines und Arthur Rimbaud. Die Lektüre der „Fackel“ von Karl Kraus verstärkte seine antibürgerliche Haltung, die manchmal nicht ganz frei von Selbststilisierung war.

Schon früh experimentierte Trakl mit Rauschmitteln wie Chloroform oder Veronal, woraus sich später eine Sucht entwickelte, die ihm schließlich zum Verhängnis werden würde.

Als Trakl am Ende der 7. Klasse neuerlich nicht in die höhere Klasse aufsteigen konnte, verließ er die Schule und schlug die Apothekerlaufbahn ein, die damals auch ohne Matura möglich war. Eine Voraussetzung für das Pharmaziestudium war allerdings eine dreijährige Praxis; Trakl absolvierte sie in der Apotheke „Zum weißen Engel“ in Salzburg. Daneben fand er noch genügend Zeit für seine literarischen Interessen. Nur kurz war er Mitglied der jungen Dichterrunde „Minerva“, die ihm jedoch allzu provinziell erschien. Mit Unterstützung des Dramatikers Gustav Streicher konnte er zwei Einakter am Stadttheater unterbringen („Totentag“, „Fata Morgana“), der Erfolg blieb allerdings aus. In Salzburger Zeitungen erschienen aber dann doch die ersten Prosatexte und Gedichte.

Die Wiener Jahre

In den drei Jahren, die er in Wien verbringen sollte, konnte Trakl nicht nur seine Berufsausbildung abschließen, sondern in der Begegnung mit den literarischen Strömungen und den Repräsentanten der Wiener Moderne auch seine eigenen dichterischen Techniken weiterentwickeln. Im Oktober 1908 begann er ein Studium der Pharmazie an der Universität.

Das Erlebnis der Großstadt löste in ihm jedoch Angstzustände aus, er fühlte sich von seinen Triebimpulsen bedroht und machte sie zu einem Thema seiner Gedichte. Die Erinnerung an Salzburg, wie er sie beispielsweise im Gedicht „Die schöne Stadt“ gestaltet hat, wirkt beinahe wehmütig.
Besonders produktiv war Trakl im Frühjahr 1909, als er eine erste Gedichtsammlung zusammenstellte. Er übergab sie seinem Schulfreund Erhard Buschbeck, der mit Unterstützung Hermann Bahrs erfolglos versuchte, einen Verleger dafür zu finden. Trakl legte bald darauf auf eine Veröffentlichung keinen Wert mehr. Unter dem Titel „Aus goldenem Kelch“ erschien diese Sammlung  erst dreißig Jahre später, 1939.

Buschbeck, der im „Akademischen Verband für Literatur und Musik“ führend tätig war, machte ihn bekannt mit den neuesten künstlerischen Tendenzen, mit dem „anderen Wien“, das gegen den „schönen Schein“ von Jugendstil und Fin de siècle gerichtet war. Er wies ihn auf Oskar Kokoschka als Literaten und Maler hin, auf die Musik von Arnold Schönberg und die Architektur von Adolf Loos, der Trakl besonders schätzten lernte.
Seine Schwester Grete (Margarethe) Trakl (geb. Salzburg, 8. 8. 1892; gest. Berlin, 21. 11. 1917) versuchte in dieser Zeit zweimal, ihre Ausbildung zur Konzertpianistin fortzusetzen, brach aber immer vorzeitig ab und kehrte schließlich nach Salzburg zurück. Dass er sie in der gemeinsamen Zeit in Wien mit Drogen bekannt gemacht hatte, belastete Trakl, der ohnehin zu Schuldgefühlen neigte, sehr.

Einen wesentlichen Einschnitt im Leben Trakls bedeutete der Tod des Vaters 1910, da damit die materielle Sicherheit nicht mehr gegeben war. Denn es stellte sich heraus, dass sein Geschäft mit Schulden belastet war. Kurz danach schloss Trakl das Studium als Magister der Pharmazie ab. Dieser ereignisreiche Frühsommer war gleichzeitig eine literarisch sehr produktive Zeit.

Im dritten Wiener Jahr absolvierte Trakl seinen Militärdienst mit seinem Einjährig-Freiwilligen-Jahr als Pharmazeut. In der Freizeit war er viel mit Freunden zusammen und pflegte näheren Kontakt zum Akademischen Verband, in dessen frühexpressionistischer Zeitschrift „Der Ruf“ mehrere Gedichte von ihm erschienen.

Wartezeit

Wieder zurück in Salzburg, war die Regelung seiner beruflichen Zukunft ein Thema, das ihn – und seine Familie – nicht mehr losließ: Viermal bewarb er sich um eine Stelle bei Ministerien in Wien und schmiedete auch Pläne, ins Ausland zu gehen, die er jedoch nie realisierte.

Zunächst arbeitete er kurz wieder in der Apotheke „Zum weißen Engel“. Daneben war er häufig mit Mitgliedern der Literatur- und Kunstgesellschaft Pan zusammen, darunter auch mit dem begabten Essayisten Karl Hauer, der sich als bürgerlicher Außenseiter empfand. Familiäre Konflikte aufgrund der Heirat der minderjährigen Grete in Berlin, die dort ihre Ausbildung zur Pianistin wieder aufnahm, verleideten Trakl den Aufenthalt in Salzburg. Er nahm ein berufliches Angebot des Ministeriums für Landesverteidigung an, das ihn nach Innsbruck führte.

Innsbruck – Erfolge als Dichter

Je düsterer sich Trakls berufliche Zukunft gestaltete, desto hoffnungsvoller wurden seine literarischen Aussichten. Er trat am 1. April 1912 am Innsbrucker Garnisonsspital einen Probedienst als Medikamentenbeamter an. Schon am 1. Mai dieses Jahres erschien in der Halbmonatsschrift „Der Brenner“ sein Gedicht „Vorstadt im Föhn“. Erhard Buschbeck hatte es dem Herausgeber Ludwig von Ficker vermittelt. Damit begann die Veröffentlichungsreihe von insgesamt 65 Gedichten in dieser Zeitschrift noch zu Lebzeiten des Dichters. „Der Brenner“ wurde zum beinahe ausschließlichen Publikationsorgan Trakls. Er wurde in den Kreis der „Brenner“-Freunde aufgenommen und lernte bei von Ficker auch Karl Kraus persönlich kennen. Dieser wiederum stellte die Verbindung zum Kurt Wolff Verlag in Leipzig her, wo im Sommer 1913 Trakls erster Lyrikband „Gedichte“ als Band 7/8 in der Reihe „Der jüngste Tag“ erschien.

Ende 1912 löste Trakl sein Dienstverhältnis als Militärapotheker auf, trat für lediglich einen Tag eine Stelle in Wien an und kehrte fluchtartig wieder nach Innsbruck zurück. Eine Bürotätigkeit erschien ihm unerträglich, denn er arbeitete zu dieser Zeit gerade an seinem Gedicht „Helian“. Ficker ließ ihn bei sich wohnen oder verschaffte ihm in der Folge ein Quartier bei seinem Bruder auf der Hohenburg nahe Igls. Der Freund Karl Röck, der 1918 die erste Gesamtausgabe Trakls besorgen sollte, berichtete in seinem Tagebuch von vielen Begegnungen mit ihm.

Nach einem weiteren gescheiterten Versuch im Juli 1913, beruflich in Wien Fuß zu fassen, machte Trakl schließlich auf Einladung Adolf Loos' eine Reise nach Venedig; Karl Kraus, Peter Altenberg und das Ehepaar Ficker schlossen sich an. Die langjährige Freundschaft mit Erhard Buschbeck hatte Trakl wegen dessen „Affäre“ mit seiner Schwester Grete abgebrochen.

Nach einem literarisch ergiebigen Herbst traf er bei einem letzten beruflichen Anlauf in Wien mit Oskar Kokoschka in dessen Atelier zusammen, der sich, so wie Trakl, nach eigener Aussage als „Abtrünniger des bürgerlichen Lebens“ empfand. Nach seiner Rückkehr nach Innsbruck malte Trakl ein maskenhaft-expressives Selbstporträt. Im Dezember hielt er seine einzige öffentliche Lesung. Besonders eng wurde zu dieser Zeit sein Verhältnis zu dem psychisch labilen Schriftsteller Karl Borromäus Heinrich, dem Trakl zwei Gedichte widmete.

Ende März 1914 fuhr Georg Trakl nach Berlin zu seiner Schwester Grete, die eine Fehlgeburt erlitten hatte; er machte dort nicht weiter bekannte Erfahrungen, die ihn gebrochen zurückkehren ließen. Eine Reise mit Ludwig von Ficker nach Nago am Gardasee zu dem Naturphilosophen Carl Dallago brachte ihm eine gewisse Beruhigung. Er schloss in diesen Wochen den zweiten Gedichtband „Sebastian im Traum“ ab, der aber nicht mehr vor Kriegsausbruch erscheinen konnte. Die letzten Gedichte aus dieser Zeit haben hymnenartigen, an Hölderlin erinnernden Charakter.

Als Trakl sich als Dauergast im Hause Ficker oder auf der Hohenburg nicht mehr bei allen willkommen fühlte, plante er, nach Niederländisch-Indien oder Albanien auszuwandern. Als daraus nichts wurde, beabsichtigte er nach Salzburg zurückzukehren. Der Kriegsbeginn verhinderte diesen Plan, ebenso wenig konnte er deswegen eine großzügige Geldspende des jungen Ludwig Wittgenstein nutzen.

Tragisches Ende

Am 5. August 1914 meldete sich Georg Trakl bei seiner Innsbrucker Einheit zur militärischen „Dienstleistung“. Wie schon frühere Gedichte und das jetzt entstandene „Im Osten“ zeigen, machte er sich über den Charakter des Krieges keine Illusionen. Was er aber dann Anfang September erlebte, war für ihn nicht zu verkraften. Seine Sanitätskolonne wurde an der russischen Front in Galizien eingesetzt. In der Schlacht bei Grodek, westlich von Lemberg gelegen, erfuhr die k. u. k. Armee eine verheerende Niederlage. In dieser von Panik geprägten Situation sollte Trakl etwa 90 Schwerverwundete ohne ärztliche Hilfe versorgen. Mit ohnmächtigem Entsetzen musste er das Sterben vieler Soldaten mitansehen. Als Trakl daraufhin einen Selbstmordversuch unternahm, wurde er in die „Irrenabteilung“ des Garnisonsspitals in Krakau „zur Beobachtung des Geisteszustandes“ eingewiesen. Als sein Freund Ludwig von Ficker davon erfuhr, besuchte er Trakl Ende Oktober. Sein Versuch, seine Entlassung zu erreichen, blieb erfolglos.

Georg Trakl muss seine Lage als aussichtslos empfunden haben: Er starb am 3. November 1914 an den Folgen einer Kokainvergiftung. Zwei Tage später wurde er in Krakau beigesetzt. Die letzten Gedichte, darunter „Grodek“, erschienen im „Brenner Jahrbuch“ 1915.

Ludwig von Ficker ließ 1925 Trakls sterblichen Überreste nach Innsbruck überführen. Seitdem befindet sich Trakls Grab auf dem Friedhof in Mühlau.


Weitere W.: Die Dichtungen, 1918; Dichtungen und Briefe, ed. W. Killy – H. Szklenar, 2 Bde., 1969; Sämtl. Werke und Briefwechsel, ed. E. Sauer-mann – H. Zwerschina, 5 Bde., 1995-2014. – Teilnachlässe: Forschungsinst. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Tirol; G. T.-Forschungs- und Gedenkstätte, Salzburg, Sbg.; Yale Univ., New Haven, CT, USA; Privatbesitz.


Literatur: A. Doppler, Die Lyrik G. T.s, 2001; H. Weichselbaum, in: Androgynie und Inzest in der Literatur um 1900, ed. ders., 2005, S. 43ff.; G. T. und die literar. Moderne, ed. K. Csúri, 2009; H. Schmölzer, Dunkle Liebe eines wilden Geschlechts: G. und Margarethe Trakl, 2013; H. Weichselbaum, T.-Echo. Poetische Spuren T.s aus 100 Jahren, 2013; ders., G. T. Eine Biographie, 2014; R. Görner, G. T. Dichter im Jahrzehnt der Extreme, 2014; H.-G. Kemper, Droge T. Rauschträume und Poesie, 2014.

(Hans Weichselbaum)

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