Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 113 (2000)


Ulrike Gantz, Gregor von Nyssa: Oratio consolatoria in Pulcheriam. Basel: Schwabe 1999. 315 S. (Chresis. Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur. 6.) ISBN 3-7965-1101-5

Die vorliegende Arbeit ist eine für den Druck ergänzte Dissertation, die Christian Gnilka angeregt und in die von ihm herausgegebene verdienstvolle Reihe aufgenommen hat (vgl. WSt. 1985, 255f.; 1997, 285ff. 291f. für frühere Bände). Geboten werden nach einer Einleitung (9 – 29) der aus der Ausgabe von Spira (Greg. Nyss. Op. 9, 461– 472) übernommene griechische Text zusammen mit einer gut lesbaren Übersetzung (32– 49) sowie ein den Gang der Rede nachzeichnender und ihre Motive untersuchender ausführlicher Kommentar (50–285). Gregor von Nyssas Trostrede des Jahres 385 auf den Tod der Pulcheria, der kleinen Tochter des Theodosius und der Flacilla, erweist sich dabei als besonders eindrucksvolles Beispiel der christlichen Gestaltung und Verwandlung eines schon klassischen Redetyps, der vor allem durch den Vergleich mit den Anweisungen des Rhetors Menander herausgestellt wird. Die Rede beginnt durch οὐκ οἶδα ὅπως τῷ λόγῳ χρήσομαι mit einer Frage nach dem Thema und seiner Behandlung, was schon alte Tradition hat, wie etwa der homerische Apollonhymnus (19 = 207 πῶς τ᾿ ἄρ᾿ σ᾿ ὑμνήσω πάντως εὔυμνον ἐόντα mit folgender Begründung und Themennennung) zeigen kann (sowohl die Übersetzung als auch der Kommentar von G. verfehlt hier die Nuancen). Die Fortsetzung verbindet zwei Gedächtnisse: den gerade gewesenen Jahrestag eines Erdbebens, das vor Jahren eine Nachbarstadt Konstantinopels (am ehesten Nikomedeia) hart getroffen hat, und den vor kurzem eingetretenen Todesfall mit der anschließenden Bestattung der etwa siebenjährigen Prinzessin in der Hauptstadt. Gewonnen wird durch diese Koppelung (die durch die Termine nahegelegt war) der Begriff σεισμός auch für den Tod des kaiserlichen Kindes. Die damit gegebene Steigerung läßt sich im gegenwärtigen Jahr (1999) des furchtbaren Erdbebens von Izmit (= Nikomedeia) besonders stark empfinden. Es folgt der Redeteil, welcher mit dem Lob der Verstorbenen, dem Preis des trauernden Kaiserpaars und der Beschreibung des Leichenzuges dem πάθος der Trauer Ausdruck gibt. Hier wird im Kommentar besonders ergiebig jeweils die Metaphorik der Ausdrucksmittel erläutert und zum Text auch mit Recht vermutet, daß p. 463, 2f. die Parenthese τὸ βασιλικόν φημι κράτος als erklärender und störender Zusatz zu tilgen ist (110). Der Trostteil schließlich arbeitet mit dem Gegensatz von πάθος und λογισμός, sieht den verfrühten Tod als Befreiung von den Übeln des Lebens, verweist auf das Jenseits und interpretiert zwei biblische Exempla (Abraham und Hiob); er endet mit der Erklärung des Todes als der Vorbedingung der Auferstehung und der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Menschen.
Die vorliegende ausführliche Interpretation kann gute Dienste für eine gerechte Bewertung dieser und anderer Reden des Gregor von Nyssa leisten.
Hans Schwabl
 

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