Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 113 (2000)


Stavros A. Frangoulidis, Handlung und Nebenhandlung. Theater, Metatheater und Gattungsbewußtsein in der römischen Komödie. Stuttgart: M&P Verlag für Wissenschaft und Forschung 1997. 191 S. (Drama. Beiheft. 6.) ISBN 3-476-45184-4

F. stellt sein Buch in die Tradition des 'performance criticism', durch den insbesondere metatheatralische Aspekte aufgezeigt werden, also jene Elemente, welche die Komödie als Spiel beleuchten und so die Illusion durchbrechen. F. versucht zu erweisen, daß gewisse Komödienfiguren, insbesondere die Gestalter von Intrigen, "grow as poets in parallel with or in contrast to the play's poet" (3). Die 'subplots', die auf das Wirken dieser drameninternen 'poets' zurückgehen, werden je nach ihrer Beziehung zum Gang der Haupthandlung als 'factual' (analog zum Handlungsziel) bzw. 'fictive' (dem Handlungsziel zuwider laufend) bezeichnet, eine angesichts der Fiktionalität des Ganzen etwas künstlich anmutende Scheidung. Im Großen und Ganzen funktioniert dieses den Dramen aufgesetzte Schema recht gut, obwohl man sich gelegentlich fragen muß, was sich damit für die Interpretation gewinnen läßt.
Als 'fictive subplots' werden die beiden Intrigen Tranios in der Most(ellaria) ausführlich dargestellt (21ff.): Hier übernimmt – gemäß F.s Jargon – Tranio die persona eines poeta. Wenig überzeugend erscheint die Art, wie 'griechisches' (Philolaches, Tranio) und 'römisches Leben' (Theopropides) einander gegenübergestellt werden, und wie die Einigung am Dramenende als eine Art Synthesis zwischen beiden Lebensweisen bezeichnet wird. Die eigentlichen Schwächen des Buches liegen jedoch in der Einzelinterpretation: viel zu häufig werden willkürlich anmutende Beziehungen, gewagte, oder auch offenkundig falsche Interpretationen geboten. Dazu einige Beispiele aus dem Eingang der Most.: "(Phaniscus) figuratively eats away the slave's scheme through the metaphorical interpretation of food for poetry" (dies mit Hinblick auf die [unabsichtliche] Eröffnung der ersten Intrige Tranios; 22); in Vers 32 is nunc in aliam partem palmam possidet darf man sicher keinen Bezug auf partes 'Rolle' annehmen; es bedeutet einfach "er ist nun im schlechten Sinne führend" (25; Ter. Phor. 835 kann man hingegen so verstehen: S. 107); liberare ("die Freiheit schenken", 204) sollte man nicht mit der Konnotation der Freizügigkeit befrachten und in Beziehung zur dionysischen Feier bringen (26); die Ankleideszene ist keine Metapher für die Verkleidung der Schauspieler (28); die Parallele zwischen dem Sturz des betrunkenen Freundes mit dem einstürzenden Haus in I 2 ist m. E. absurd (29); bis in Vers 360 hat nichts mit den zwei Intrigen Tranios zu tun (30); Vers 370 quid mihi sit boni, si mentiar? hat keinen Bezug auf die folgenden Intrigen, sondern betrifft die Tatsache der Rückkehr des Vaters (31). Seltsam mutet auch die Gleichsetzung Tranios mit dem Orcus an (vgl. aber Vers 509) und die Interpretation der Flucht des Alten von der Bühne als "initiation into Tranio's comic life" (36f.). Offensichtlich strebt der Autor danach, um jeden Preis Relationen zwischen Handlungszügen oder Figuren herzustellen, und nimmt um dieses Zieles willen auch Gewaltsamkeiten in Kauf.
Ansprechender als die Analyse der Most. ist der Abschnitt über die Struktur des Phormio (77ff.). F. geht von den schwierigen Versen 338ff. aus, in denen Phor. gleichsam als rex den Sklaven Geta zu einem Mahle lädt, dies nach F. mit direktem Bezug auf das folgende Geschehen, in dem der Parasit nach mehreren "Inszenierungen" ('factual': die Epikleros-Intrige; 'fictive' z. B. der Geldbetrug) letztlich zu seiner eigentlichen Rolle als parasitus zurückkehrt und sich selbst einladen läßt. Dazu stimmt auch die Allgegenwart der Essensmetapher in diesem Drama. Ein Problem mit der Klassifizierung der ersten Intrige als 'factual' ergibt sich dadurch, daß der Zuseher zumindest bei Terenz die Tatsachen über die Herkunft Phaniums nicht erfährt (dies wohl im Gegensatz zur griechischen Vorlage), wie er auch über die Identität Stilpos mit Chremes eingangs ebensowenig im Bilde ist wie Phormio selbst (unrichtig F., 96). Insgesamt können jedoch im Falle des Phor. die aufgezeigten strukturellen Beziehungen nachvollzogen werden, wenn auch manche Gewaltsamkeit im Detail zu beklagen ist.
Das Buch enthält noch eine knappe Interpretation des Mercator (133ff.) mit einer nicht voll überzeugenden Analyse der Analogien zwischen Demiphos Traum und der Handlung des Dramas sowie als Anhang (145ff.) eine durchaus originell anmutende Studie zu Apuleius' Märchen Amor und Psyche, in dem – so F. – die Tradition der Neuen Komödie aufgenommen und weitergeführt wird. Das Buch ist übrigens trotz seines deutschen Titels auf Englisch abgefaßt.
Walter Stockert
 

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