Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 113 (2000)


Eckard Lefèvre, Terenz' und Menanders Heautontimorumenos. München: Beck 1994. 205 S. (Zetemata. 91.) ISBN 3-406-37717-3

Dieses Buch ist das Ergebnis einer jahrelangen Auseinandersetzung mit der Struktur des Heaut(ontimorumenos) und seines griechischen Vorbildes. Die Probleme bei der Erschließung des Menander-Originals erhöhen sich hier durch das Auslassen des Donat-Kommentars beträchtlich, gibt doch dieser spätantike Interpret immer wieder wertvolle Hinweise auf Änderungen seitens des Römers.
Das Buch gliedert sich in einen ausführlichen Überblick über die Rezeption des Dramas in Literatur und Forschung (13ff.; hier steht auch eine umfangreiche Beigabe zur Rezeption des berühmten homo sum-Verses), eine Erörterung der Intrige(n) bei Terenz und Menander (73ff.), eine Analyse der Szenenstruktur (91ff.) und in Darlegungen zum Weltbild der beiden Autoren (155ff.).
Aufgrund der Aussagen des Prologs nimmt L. zurecht von der Kontaminations- Hypothese Abstand; er postuliert jedoch aufgrund seiner Interpretation von Vers 6, die zumindest umstritten ist (vgl. A. Primmer, WSt. 77, 1964, 61ff.), substantielle Änderungen durch Terenz. Daß der Römer, entsprechend seiner Aussage in Ad. 10f. wörtlich übersetze (verbum de verbo expressum extulit), wie noch Jachmann und Steidle annahmen, widerspricht gewiß dem heutigen Stand der Forschung. Terenz wird das Vorbild überarbeitet und hier und dort Schnitte und Ergänzungen vorgenommen haben, wie dies für Plautus durch den Dis Exapaton-Papyrus dokumentiert ist. L. geht jedoch viel weiter: Er nimmt eine tiefgreifende Änderung der οἰκονομία des menandrischen Heaut. zu einem Drama an, das sich ähnlich an der italischen Stegreifkomödie orientiere wie Plautus (vgl. den Sammelband "Plautus barbarus"). Stimmt seine These, dann wäre das traditionelle Bild von Terenz als einem dimidiatus Menander von Grund auf zu revidieren.
Im zentralen zweiten Abschnitt ("Intrigen") will L. beweisen, daß alle Intrigen des Heaut. von Terenz stammen und bei Menander nur eine, etwas anders geartete Intrige aufschien. Dem liegt offenkundig ein Bild von der Struktur der Nea zugrunde, das angesichts der Vielfalt der menandrischen οἰκονομία nicht akzeptiert werden kann. Einen Angelpunkt für seine Analyse sieht L. in Vers 528 (gnatus eius profugit inopia; vgl. 526), da bei Terenz kein Geldbedarf Clinias vorliege (diese Aussage könnte sich also auf die menandrische Situation beziehen); doch stehen die Worte bei Terenz im Zusammenhang mit der Hauptintrige, in der Clinias Geldbedarf simuliert wird. Die sog. 'zweite Intrige' bei Terenz mit der Scheinhochzeit des Clinia ist schon angesichts des Umstandes, daß sie die wirkliche Hochzeit vorwegnimmt, auch eines Menander würdig; und die doppelbödige Szene IV 8, in welcher der übertölpelte Chremes den glücklichen Menedemus im Glauben an seinen Sohn ein letztes Mal erschüttert, ist glänzend gelungen und vor V 1 hervorragend plaziert (nach L. stammt sie aber erst von Terenz). Insbesondere sollte man aber nicht bezweifeln, daß die zentrale Intrige um Bacchis, die dem gesamten argumentum zugrunde liegt, schon von Menander stammt (zur menandrischen Struktur des Heaut. vgl. jetzt J. B. C. Lowe in Rhein. Mus. 141, 1998, 163ff.).
Die Gesamtstruktur des Menanderdramas konnte L. angesichts der von ihm angenommenen fundamentalen Änderungen durch Terenz nur skizzieren (149ff.). Es verwundert, daß er unter solchen Voraussetzungen überhaupt eine Gliederung des griechischen Vorbildes in Akte wagt. Insgesamt ist die Analyse L.s bei allem Scharfsinn und aller Gelehrsamkeit doch enttäuschend: Der menandrische Heautontimorumenos bleibt weiterhin ein Rätsel.
Walter Stockert
 

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