Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 113 (2000)


Peter Kolb, Platons Sophistes: Theorie des Logos und der Dialektik. Würzburg: Königshausen & Neumann 1997. 252 S. (Würzburger Wissenschaftliche Schriften. 216.) ISBN 3-8260-1294-1

Die Frage nach der Philosophie und der begrifflichen Abgrenzung der Philosophie gegen die Sophistik sind zentrales Thema des Sophistes. Im Mittelpunkt des ersten Dialogteils steht, demonstriert anhand der Person des Theaitetos (50), der Weg des Philosophen, der von einem anfänglichen Befangensein in Meinungen und scheinbarem Wissen hin zur Einsicht ins eigene Noch-Nicht-Wissen (Aporie) führt, das dann wiederum zum Ausgangspunkt für jedes ernsthafte, philosophische Streben wird. Die ersten fünf Sophistendefinitionen können somit von K. als Demonstration sophistischen Scheinwissens gedeutet werden (54). Die den Definitionen zugrundeliegende Methode, die Dihairese, wird als fehlerhaft entlarvt und der Kunst der Dialektik gegenübergestellt. Im Gegensatz zur Dihairetik, die sich auf ein Kenntlichmachen funktionaler Äußerlichkeiten beschränkt, die veränderlich sind, der Beschreibung eines Phänomens also, erfaßt die Dialektik das sich immer gleich Verhaltende, die Idee der jeweiligen Sache selbst, und vermittelt somit einzig die Möglichkeit wahrhaftiger Erkenntnis (45–48). Im Übergang von der Dihairetik zur Dialektik steht die sokratische Elenktik, verifizierbar an der sechsten Sophistendefinition. Es ist dies die Kunst der Aufdeckung von begrifflichen Widersprüchen mit dem Ziel der "Umlenkung der ganzen Seele" zur Philosophie. Der Elenktiker vermag Aussagen (λόγοι), die mit dem Anspruch auf Wissen auftreten, als bloße Meinungen (δόξαι) zu entschleiern (55–66). Die Frage nach der Erkenntnis einer bestimmten Idee vertieft sich dann im Exkursteil zu der Frage nach den "Prinzipien des Erkennens" überhaupt. Insgesamt plädiert K. für ein Verständnis des Dialogs als urteilstheoretisch: Im Sophistes geht es um das wahrheitsdifferenzierte λέγειν und die damit verknüpfte Bedeutung des ὄν bzw. des μὴ ὄν als "bestimmtheitslogisch" (215), d.h. einen Sachverhalt bezeichnend, und nicht als "existenztheoretisch". Nicht als etwas, das existiert bzw. nicht existiert, sondern als dasjenige, was "möglicher Gegenstand einer Aussage" sein kann oder nicht, wird es von Platon bezeichnet (215). Der Arbeit, einer von J.-H. Königshausen angeregten Dissertation, angeschlossen ist eine äußerst interessante Literaturbesprechung (200–248), in der die wichtigstenDiskussionen und Forschungsbeiträge zum Sophistes angeführt und referiert sind. Am Leitfaden der Forschung können hier K.s Thesen und Lösungsvorschläge zum Sophistes verfolgt und nachvollzogen werden.
Maria-Christine Leitgeb
 

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