Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 113 (2000)


Aeschyli Tragoediae cum incerti poetae Prometheo. Ed. Martin. L. West. Editio correctior editionis primae (MCMXC). Stutgardiae et Lipsiae: In Aedibus B. G. Teubneri 1998. LXXXV, 508 S. (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana.) ISBN 3-519-11013-X

Irgendwie, so scheint es, ist die Kritik sehr rasch über diese bei ihrem ersten Erscheinen 1990 oft bewunderte, oft auch heftig diskutierte Aischylos-Edition hinweggegangen: Die Ausgabe ist heute etabliert (verbreitet allerdings nur außerhalb des angelsächsischen Raumes; Gründe dafür finden sich in den Rez. von M. Davies und H. Lloyd-Jones, s. u.), und die unglaublich genauen und auch in der Art der Notierung gut nachvollziehbaren Zuweisungen wichtiger Konjekturen sind mittlerweile Standard geworden. In den Jahren 1991/92 hat der Verlag die sieben Tragödien in Einzelausgaben (mit Verbesserungen) gedruckt; diese zweite Auflage faßt dies nun zusammen, nach W.s eigenem Bekunden ohne wesentliche Veränderungen, lediglich einige Testimonia sind nachgetragen (p. LV; jedenfalls betroffen sind die Seiten 63, 404, 417, 418). Unverständlich bleibt die Bestimmtheit, mit der W. die Unechtheit des Prometheus als erster Editor sogar in den Titel nimmt (freilich nur auf dem Titelblatt, nicht auf dem Außenumschlag), so als müßte etwas erzwungen werden. Und tatsächlich sind W.s begleitende Erläuterungen zu diesem Stück, für das er Aischylos' Sohn Euphorion als Autor annimmt (Studies in Aeschylus, Stuttgart 1990 [Beiträge zur Altertumskunde. 1.], 68ff.), immer noch alles andere als überzeugend.
Über Einzelheiten möchte ich hier nicht urteilen. Für eine Auseinandersetzung mit W.s Text und den Methoden der Texterstellung sind die eingehenden Besprechungen von Malcolm Davies (Class. Rev. 42, 1992, 255–263) und Hugh Lloyd-Jones (Gnomon 65, 1993, 1–11) unentbehrlich. Ich hebe nur zustimmend drei Stellen heraus. Agam. 77 (vgl. Studies, 174): West liest mit den Hss. wieder ¢n£sswn gegen die von Murray, Fraenkel, Page und vielen anderen akzeptierte Verbesserung von Hermann: ἀνάσσων oder ἀνάισσων, und zu Recht (vgl. Studies, 174f.). – Zur Rekonstruktion des Anfangs der Cho. hat W. durch eingehende Analyse des Aristophanes-Textes überzeugend neue Verse und Versteile hinzugefunden (fr. 3; fr. 6 aus Eur. El. 534); vgl. auch Studies, 232f. – Besonders elegant ist W.s Lösung für den verstümmelten, von Konjekturen geplagten Vers Eum. 1044, der so überliefert ist: σπονδαὶ δ᾿ ἐς τὸ πᾶν ἔνδα(ι)δες οἴκων. West macht daraus σπουδᾷ δ᾿ εἴσιτε πανδάιδ᾿ οἶκον und gibt damit diesem Begleittext zur Schlußprozession in der Exodos der Eumeniden die nötige Feierlichkeit und die Würde dieser großen, alle vereinenden Schlußszene: "Und mit Würde geht ein in das allerleuchtete Haus: / für der Pallas Stadtbewohner hat Zeus der Allessehende / und die Moira so es festgesetzt. / Jauchzet nun beim Festgesang!" Nur fügt sich dieser Schluß der Exodos, für die W. übrigens einen zusätzlichen, sich erst neu formierenden Chor von νεωκόροι (vgl. Vers 1024) annimmt statt der üblichen προπομποί, doch besser zum Anfang der Exodos, wenn man nicht wie W. in Vers 1033 die Überlieferung schreibt (βᾶτ᾿ †ἐν δόμωι† Νυκτὸς παῖδες ἄπαιδες, κτλ. μεγάλαι φιλότιμοι), sondern Headlams exzellente Verbesserung: βᾶθ᾿ ὁδόν, ὦ μεγάλαι φιλότιμοι / Νυκτὸς παῖδες ἄπαιδες, κτλ.
Herbert Bannert
 

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