Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 112 (1999)


Werner Dahlheim, Die Antike. Griechenland und Rom von den Anfängen bis zur Expansion des Islam. 4., erweiterte und überarb. Auflage. Paderborn: Schöningh 1995. 814 S. Abb. Karten ISBN 3-506-71980-7

Daß ein Buch innerhalb von zwei Jahren in vierter Auflage erscheint, ist an sich ungewöhnlich; noch ungewöhnlicher ist dies, wenn man bedenkt, daß der vorliegenden ,großen' Ausgabe eine zweibändige Taschenbuchausgabe vorausging (und nun zur Seite bleibt), in der "Die griechisch-römische Antike" schon in einer neuen, übersichtlichen und gut lesbaren Konzeption vorgestellt wurde (UTB 1646/1647, erstmals 1992). Der Text dieser Bände wurde, verbessert und erweitert, im wesentlichen übernommen und fortgeführt mit Kapiteln über die Spätantike, die wichtigsten Phasen der Verwandlung und Anverwandlung antiker Gedanken in der Amerikanischen und Französischen Revolution, und einem Überblick über die Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit der Antike, also der Entstehung der ,Altertumswissenschaften'. Ein ausführliches Glossar und ein gut gegliedertes Literaturverzeichnis vervollständigen den Band.
Man kann das Buch als Ganzes lesen, man kann einzelne Abschnitte lesen, man kann auch die zu Beginn jedes Abschnitts eingelegten Bilddokumente und die beigefügten Kurzessays lesen, und man wird dabei immer auf beste Information, klare Darstellung von Zusammenhängen, gelegentlich auf hintergründigen Humor treffen. Die Abfolge von einleitenden, in Tabellen zusammengefaßten Fakten und der folgenden Darstellung mit vielen eingelegten Zeichnungen und Plänen ist gut durchdacht, und trotz der naturgemäß oft verkürzten Darstellung historischer Entwicklungen sind durchgehend Originalquellen in kurzen, prägnanten Ausschnitten präsentiert. Wo nötig, treten Fakten in den Vordergrund, wichtig aber sind die übergreifenden Zusammenhänge, besonders deutlich etwa bei der Behandlung der Perserkriege, deren bleibendes Ergebnis für alle Zeiten die Erfahrung der persönlichen Freiheit gewesen ist (178f.).
In keiner anderen Tätigkeit des Wissenschaftlers kommt es so sehr auf die Fähigkeit an, das Wesentliche zu sehen, Zusammenhänge verkürzt darzustellen, und vor allem zu wagen, viele Schritte auf dem Weg einer Entwicklung zu übergehen und durch Ergebnisse zu ersetzen, wie bei der Abfassung eines Handbuches. Und ebenso notwendig ist es, zusammenfassende Darstellungen immer wieder neu zu wagen und damit die veränderte Sicht in neuer Form, neuer Sprache, neuem Blickwinkel zu schreiben. Es ist aus diesen Gründen nicht angebracht, das Konzept oder Einzelheiten der Durchführung zu kritisieren; ich möchte nur wenige Korrekturen anführen, die sich mir bei der Lektüre ergeben haben. S. 199 (über den Besuch der Volksversammlung): "so ist es z. B. verständlich, daß eine Debatte über den weiteren Ausbau der Flotte die in Piräus wohnenden Bürger in Scharen in die Stadt strömen ließ." Nein; denn in diesen Fällen tagte die Volksversammlung in der Regel in einem der beiden Theater des Piräus (z. B. Dem., de falsa legatione 19, 125, 1). - S. 231f. (Sizilische Expedition): Die Hermokopidenaffäre und ihre Folgen dürfen nicht gänzlich unerwähnt bleiben! - S. 268: Die Thukydidesübersetzung kann nicht von Bowra stammen. - S. 687 (letzte Zeile): das Zitat ist Ilias 23, 59 -108. - Unzählige Druckfehler aus den ersten Auflagen wurden übrigens sorgfältig korrigiert.
Aus einem Brief an W. D. aus dem Jahre 1992, nach der Lektüre der ersten Auflage des ersten Bandes der Taschenbuchausgabe: " ... kann man Sie nur beglückwünschen, ein solches Wagnis, einen solchen Parforce-Ritt durch die Antike durchgestanden zu haben. Dieses Buch ist gerade jetzt, wie ich meine, hochwillkommen, denn es zeigt in einer dem Geistigen abgewandten Zeit, was Menschen mit ihrem Denken, mit ihrem Handeln, in der öffentlichen Konfrontation von Denken und Handeln bewirken können, wenn sie der Überzeugung sind, daß es ein leichtes Leben nur für Götter gibt, und es zeigt, daß es den Griechen daher nur mit größter Anstrengung möglich war, ihre Geschichtsepoche auszufüllen, mit höchster Konzentration und ohne Scheu vor Entscheidungen!
Herbert Bannert
 

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