Wiener Studien - Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen der Wiener Studien 112 (1999)


Đuro Ferić, Slavica Poematia Latine Reddita. Eine frühe südslawische Volksliedsammlung. Kritisch herausgegeben und eingeleitet von Gudrun Wirtz. Köln - Weimar - Wien: Böhlau 1997 (Bausteine zur slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Reihe B: Editionen, N. F. 111.) 592 S. ISBN 3-412-09497-8

Der Jesuit Đuro Ferić (1739 -1820), bedeutender Vertreter des späten Ragusaner Humanismus, produziert ab 1790 ein reiches Schrifttum in lateinischer Sprache. Zu seinen Lebzeiten werden gedruckt: metrische Psalmenparaphrasen, kroatische Fabeln, Vers-Episteln, eine Periegese von Dubrovnik, auch banale Gelegenheitsgedichte wie ein Geburtstagsgedicht auf Kaiser Franz I., etc. Dieses Werk ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, und zwar, wie ich meine, zu Recht, da F. zwar geschickt mit der lateinischen Sprache umgeht (wenn auch sein Hexameter metrische Schwächen aufweist), aber kein perfekter Stilist und origineller Denker ist.
Das vorliegende - mustergültig edierte - Werk wurde zu Lebzeiten F.s nie gedruckt: Edition und lateinische Übersetzung kroatischer epischer Heldenlieder aus (zum Teil) mündlicher Tradition. F. versuchte damit das südslawische Heldenlied einem internationalen Publikum bekanntzumachen und wählte dafür die internationale Gelehrtensprache, auch wenn diese, wie er an anderer Stelle klagt, im Niedergang begriffen sei. F. wählt für die Übertragung des epischen Zehnsilblers den Hexameter, das Versmaß antiker epischer Dichtung, und signalisiert damit, daß das südslawische Heldenlied zum Vergleich mit epischer (Volks-)Dichtung anderer Völker einlädt: F. korrespondiert (auf lateinisch) mit M. Cesarotti, dem italienischen Übersetzer des Ossian, er weiß vom Interesse an der Asanaginica im deutschen Sprachraum und von den Querverbindungen, die man zu Homer (und der Homerischen Frage) herstellt. Mit der Form des lateinischen Hexameters ist er allerdings sichtlich gescheitert. Vergleicht man seinen Stil mit den zeitgenössischen lateinischen Homer-Übersetzungen der kroatischen Gelehrten Rajmund Kunić (R. Cunichius, Homeri Ilias Latinis versibus expressa, Rom 1776) und Brno Džamanjić (B. Zamagna, Homeri Odyssea Latinis versibus expressa, Siena 1777), so sieht man, daß F. an jenen an Vergil geschliffenen eleganten Stil nicht heranreicht, wohl auch weil der serbokroatische Zehnsilbler, dessen lakonischer Stil einen eigenen Reiz ausübt, sich gegen eine glatte Wiedergabe sperrt. F.s Übersetzung konnte somit keine Werbung für die Originale darstellen, und man kann vielleicht auch darin einen Grund dafür sehen, daß sie nie gedruckt wurde. F. steht zudem am Übergang vom lateinischen Humanismus zur Besinnung auf die eigenen sprachlichen Wurzeln, die man im epischen Volkslied exemplarisch dokumentiert sah. Noch zu seinen Lebzeiten geht die erste umfangreiche serbische Volksliedsammlung durch Vuk Karadžić in Druck. F.s Absicht, das Heldenlied durch lateinische Übersetzungen in Europa bekannt zu machen, hatte sich überlebt. So besteht das Interesse an seiner Sammlung darin, daß wir damit eine der frühesten Sammlungen von Heldenliedern erhalten haben.
Alle diese Fragestellungen sind durch die vorliegende Edition in vorbildlicher Weise erschlossen. Die umfangreiche Einleitung informiert über das kulturelle Umfeld des Autors und widmet sich Aspekten der Überlieferung, der Herkunft der einzelnen Lieder, ihrer Sprache, der schwankenden Orthographie, etc. Aber auch die lateinischen Texte sind mitsamt ihren mitunter weit reichenden Varianten (die F.s Ringen um den lateinischen Ausdruck erkennen lassen) vorzüglich dokumentiert.
Georg Danek
 

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