Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Helmut Birkhan, Kelten. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1997. XI, 1261 S. 5 Karten. ISBN 3-7001-2609-3

Ein umfangreiches, ein abschließendes, ein lange erwartetes Buch, gut geschrieben, oft spannend, von einem der ersten Kenner der keltischen Kultur, Sprache und Zivilisation, dessen Buch ,Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit. Der Aussagewert von Wörtern und Sachen für die frühesten keltisch-germanischen Kulturbeziehungen' (Wien 1970) eine ganze Generation von keltischen Studien beeinflußt und oft erst ermöglicht hat. B. baut auch in diesem Werk auf dem Fundament der Sprache auf (erster Schwerpunkt ist ein Abriß der keltischen Sprachgeschichte), fährt fort mit Belegen zur (toposhaft negativen) Charakteristik der Kelten und mit der aus den Quellen dargestellten und nacherzählten Ereignisgeschichte, und zwar umfassend, für den gesamten keltischen Raum, und mit einer Zusammenstellung des archäologischen Befundes, weiter mit einer Darstellung von Religion und Kult, Mythologie und Glaubensinhalten, und schließt mit einer Beschreibung der Gesellschaftsordnung(en) und einem Abriß "Der Alltag in Krieg und Frieden"; jeder dieser Abschnitte bildet ein Buch für sich, doch erschließt B. dem Leser die Stoffülle durch viele Querverweise. Der Intention, sowohl dem Fachmann und Mitforscher gerecht zu werden, ein Nachschlagewerk ebenso wie ein lesbares Buch zu bieten, und auch den an keltischen Angelegenheiten bloß Interessierten zu erreichen, entsprechen die knapp gehaltenen Belege, denn es ist klar, daß nur weiterführende Literatur genannt und nicht eine vollständige Belegreihe angestrebt werden kann; eine umfassende Bibliographie ergänzt und gibt weitere Hinweise. All dies ist dem Autor geglückt; und dennoch, es fehlt etwas: Es fehlt jedes Anschauungsmaterial, das Buch enthält keine einzige Abbildung, und auch die beigegeben Karten erfüllen kaum ein Minimum an Anschaulichkeit (ich denke nur an die Verteilung verschiedener Sprachgruppen auf die keltisch besiedelten Gebiete). Es helfen zumeist Allgemeinbildung und die Verwendung historischer Atlanten nicht weiter, und wenn auch zu allen besprochenen archäologischen Dokumenten und den unzähligen eingehend interpretierten Darstellungen Verweise auf Abbildungen gegeben sind, bleibt das Ganze dennoch unanschaulich (was hätten Abbildungen bei einem solchen Umfang eines Buches geändert  ?).

Bemerkungen zu Einzelheiten (z. B. Druckfehler in griechischen Wörtern) sind bei einer derart umfassenden Gesamtdarstellung nicht angebracht; ich gebe nur einige Notizen. Zu Viridomarus und zur Geschichte der Volcae (119, 218, 692 u. ö.): Es ist mißlich, auf eigene Arbeiten zu verweisen; ich tue es, weil ich mit einigen Zusammenfassungen zu gallischen Personen und Völkern in einer Reihe von Artikeln im Suppl.-Bd. 15 der RE (1978) oft von B.s Ausführungen in ,Germanen und Kelten' ausgegangen bin und einiges, wie ich glaube, weiterführen konnte (zu 692 Anm. 1 vgl. RE Suppl. 15, 925). - Polybios, der Bewunderer römischen Staats- und Verfassungswesens, ist kein unverdächtiger Zeuge, bloß weil er Grieche ist (103). - Die als ἀστράγαλοι bezeichnete Handelsform für Zinn entspricht der Form antiker Spielwürfel: kleine Klumpen-Barren (392). - Zu der auf Poseidonios zurückgehenden rätselhaften Geschichte der Frauen der Samniten (Namneten), die sich auf eine Insel gegenüber der Loire-Mündung zurückgezogen haben (920f.), ist die ausführliche Behandlung bei M. Detienne, Dionysos. Göttliche Wildheit, Frankfurt am Main 1992 (München 1995: dtv 4655) zu ergänzen. Die Geschichte gehört wohl überhaupt eher in den griechischen Bereich der Dionysosverehrung.

Herbert Bannert

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