Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Richard Kannicht, Paradeigmata. Aufsätze zur griechischen Poesie. Herausgegeben von Lutz Käppel - Ernst A. Schmidt. Heidelberg: Winter 1996. 235 S. 9 Taf. 1 Frontispiz. (Supplemente zu den Sitzungsberichten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Kl. 10/1996.) ISBN 3-8253-0386-1 ISSN 0933-5323

Es sind dies nicht ,Gesammelte Schriften' im herkömmlichen Sinn, sondern dieses Buch bringt Grundlagen des Denkens, gewissermaßen das philologische Ethos des Tübinger Gräzisten (und gleichzeitig - mit einer Ausnahme - die Neupublikation mehrfach programmatisch vorgetragener Arbeiten). In ,Philologia Perennis?' hat K. 1970, in einer der Literaturwissenschaft günstigen Zeit, als Fragen der Literaturtheorie Tagesgespräch waren, versucht, in Weiterführung von Gadamers philosophischer Hermeneutik eine solche für die Klassische Philologie zu entwerfen und damit dem Philologen die Möglichkeit zu geben, seine Beschäftigung mit antiken Texten in die Methodik der allgemeinen Literaturwissenschaft einzubringen; der Ansatz war zukunftweisend, denn einige Entwürfe K.s gehören aus heutiger Sicht zum Selbstverständnis unserer Wissenschaft. Den Hauptteil des Buches bilden drei exemplarische Interpretationsfolgen für die frühgriechische Literatur, Epos - Lyrik - Drama: "Homerisches Epos: Dichtung und Bildkunst. Die Rezeption der Troja-Epik in den frühgriechischen Sagenbildern" (1977) mit Interpretationen zur Dichtung und zur bildenden Kunst des 7. Jh. v. Chr., doch anders und eindringlicher, als es die nicht gerade wenigen Arbeiten zu diesem Thema vermögen; "Archaische Poesie: Thalia. Über den Zusammenhang zwischen Fest und Poesie bei den Griechen" (1989) mit einer präzis auf das Wesentliche führenden Darstellung der Dichtung und der äußeren Bedingungen für Dichtung, die selbst deren Gegenstand sind; "Attisches Drama: Tragödie, Komödie, Theorie des Dramas" mit den Beiträgen "Polis und Tragödie: Die Thebanische Trilogie des Aischylos" (1966), "Dikaiopolis. Von der Schwierigkeit, ein rechter Bürger zu sein" (1983); und "Handlung als Grundbegriff der aristotelischen Theorie des Dramas" (1976). Jeder der Beiträge bringt Entscheidendes für sein Thema, weniger in Form von zusammenfassendem Wissen als vielmehr durch das unverstellte Hineinführen in das Zentrum der Interpretation: K. benötigt daher auch zumeist nur wenige Seiten, um Wesentliches darzustellen und neue Sichtweisen zu eröffnen, und er tut dies für die Gestalt des Sängers in den homerischen Gedichten, den Apollonhymnus, die Chorlyrik, Alkman, die Sieben gegen Theben, die Acharner und die Poetik des Aristoteles. Eine andere Seite philologischen Bemühens zeigt die große Rez. von D. Korzeniewskis Griechischer Metrik aus dem Jahre 1973, die aufgenommen wurde, um die Methodenstrenge K.s in einer dem einzelnen und auch kleinsten Detail gewidmeten Arbeit zu zeigen. Den Abschluß bildet dagegen ein umfassender Beitrag zur griechischen Poesie, der, von Platon ausgehend, den Anspruch der Dichtung auf Wahrheit zu zeigen versucht: ",Der alte Streit zwischen Philosophie und Dichtung'. Grundzüge der griechischen Literaturauffassung" (1980), der gelungene Versuch, mit wenig Aufwand und großer Tiefe das Wesen der Poesie an Beispielen aus Hesiod, Solon, Xenophanes, Gorgias, Aristophanes' Fröschen und schließlich Platons Stellung zur Dichtung und dem, was Aristoteles daraus macht, zu demonstrieren. Dies alles ist auf das Wesentliche konzentriert, mit Ernst und ohne die Gedanken abzulenken auf der Basis genauer (und auch exakt genau zitierter) Quellen abgehandelt und mit ebenso genauen, knappen Verweisen auf Weiterführendes belegt. Die Hrsg. haben Register beigefügt und manches abgestimmt, ohne freilich (zu Recht) Überschneidungen zu beseitigen. Ich vermisse nur eine Literaturliste, in der die Arbeiten, aus denen K. schöpft und die er für essentiell hält, zusammengestellt erscheinen. Ein wesentliches und nur zu empfehlendes Buch.

Herbert Bannert

Home