Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Margrith Berghoff-Bührer, Das Bucolicum Carmen des Petrarca. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte von Vergils Eclogen. Einführung, lateinischer Text, Übersetzung und Kommentar zu den Gedichten 1-5, 8 und 11. Bern: Peter Lang 1991. 376 S. (Europäische Hochschulschriften. Reihe XV. Klassische Sprachen und Literaturen. 52.) ISBN 3-261-04389-X

Wie in seinem Epos Africa bekennt sich Petrarca auch in seinem zwölf Eklogen umfassenden Bucolicum carmen schon durch die Wahl des Genus zur Nachfolge seines bewunderten Vorbilds Vergil. Umso erstaunlicher ist es, daß der tatsächlichen Intensität der Vergilrezeption sowie der Funktion der Vergilbezüge für die dichterische Aussage von Petrarcas Eklogen bislang noch keine eingehende Untersuchung gewidmet wurde. Diese Lücke der Petrarcaphilologie versucht B. durch eine Analyse von sieben Eklogen zu schließen, für die jeweils (auf der Grundlage des Textes von Th. G. Bergin, Petrarch's Bucolicum Carmen, New Haven - London 1974) Übersetzung, Erläuterungen und Interpretation geboten werden. In den einleitenden Kapiteln skizziert B. den historisch-biographischen Hintergrund, betont die Bedeutung der Vergilallegorese als literarischer Voraussetzung und hebt geistvolle Variatio als Prinzip von Petrarcas Vergilimitation hervor.

Es ist B. jedoch nur teilweise gelungen, ihrem programmatischen Untertitel gerecht zu werden und Petrarcas Vergilrezeption zur Leitlinie ihrer Arbeit zu machen: So liefert sie etwa keine Begründung, inwiefern die nach thematischen Gesichtspunkten (Dichtung - Politik / Rom - Klage / Laura) getroffene Auswahl besonders zur Untersuchung von Petrarcas Vergilnachfolge geeignet sein soll. Überhaupt scheint der Blick für das Wesentliche zu fehlen: Ganz abgesehen von einem noch so kurzen Abschnitt über Petrarcas Kinder (15) muß man eine Biographie Vergils (21) als unnötigen Ballast empfinden, wenn zugleich auf eine Beschäftigung mit modernen Bucolica-Interpretationen verzichtet wird. Angesichts der literarischen Thematik der Eklogen 1, 3 und 4 hätte sich anstelle der von B. gewählten Beschränkung auf Klingner z. B. eine Auseinandersetzung mit E. A. Schmidt als fruchtbar erweisen können.

Doch selbst die zu Petrarca herangezogene Sekundärliteratur weist erhebliche Lücken auf (dies ist auch der Hauptkritikpunkt in der Rezension von F. Wagner, MlJb 27, 1992, 339f.): Es fehlen grundlegende Arbeiten zum Bucolicum carmen (vor allem N. Mann, The making of Petrarch's Bucolicum carmen: A contribution to the history of the text, IMU 20, 1977, 127-182) ebenso wie für ecl. 3 relevante Spezialuntersuchungen zur Dichterkrönung Petrarcas (W. Suerbaum, Poeta laureatus et triumphans. Die Dichterkrönung Petrarcas und sein Ennius-Bild, Poetica 5, 1972, 293-328). Schließlich ist trotz der ausdrücklichen Ankündigung, Parallelen aus Petrarcas eigenen Werken bevorzugt berücksichtigen zu wollen (11), gerade die Krönungsrede übergangen, die z. B. mit Stat. Ach. 1,15f. cui geminae florent vatumque ducumque / certatim laurus Petrarcas wichtigsten Bezugstext für die Verbindung von Triumphal- und Dichterlorbeer geliefert hätte, wie sie auch ecl. 3,131ff. zum Ausdruck kommt. (B. verweist S. 196 auf Hor. c. 3,30,15 et mihi Delphica / lauro cinge volens, Melpomene, comam - eine Stelle, die Petrarca selbst nie in Zusammenhang mit seiner Krönung zitiert.)

Angesichts des Ausgangspunktes der Vergilrezeption ist B.s Bemühen anzuerkennen, möglichen spätantiken (Endelechius) und mittelalterlichen (Paschasius Radpertus) Vorbildern nachzuspüren. Viel Näherliegendes und gerade für das Verständnis der Eklogen als christliche Dichtung Wesentliches ist freilich übersehen: So verbindet Petrarca in seiner 11. Ekloge ("Galathea") Vergils 5. Ekloge mit deutlichen Bezügen auf die Osterberichte der Evangelien: Wie die Frauen am Grab Christi, klagen Niobe und Fusca, die um Galathea / Laura trauern, über den schweren Stein: heu! lapidem infestum qua nunc, soror, arte revolvam (34; vgl. Mc 16,3 et dicebant ad invicem quis revolvet nobis lapidem ab ostio monumenti), und werden von Fulgida getröstet, deren Name (u. a.) an den Engel in strahlenden Gewändern (Mc 16,5 stola candida vgl. Lc 24,5 in veste fulgenti) erinnert.

Zweifellos hat B.s Arbeit einen bisher vernachlässigten Aspekt des Bucolicum carmen aufgezeigt und stellt einen wesentlichen Fortschritt gegenüber Bergins Kurzkommentar dar. Ihre interpretatorischen Ergebnisse hätten jedoch durch größere bibliographische und philologische Sorgfalt noch weiter vertieft werden können.

Elisabeth Klecker

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