Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Biblia sacra iuxta latinam vulgatam versionem ad codicum fidem iussu Ioannis Pauli PP. II cura et studio monachorum abbatiae pontificiae sancti Hieronymi in urbe ordinis sancti Benedicti edita: Libri I-II Macchabeorum cum praefationibus capitulorum seriebus. Romae: Libreria Editrice Vaticana 1995. LXV, 266 S. (Biblia Sacra. 18.) ISBN 88-209-2128-6

Acht Jahre nach der Edition der zwölf kleinen Propheten (1987) liegt mit den beiden Macchabeerbüchern der vermutlich letzte Band der großen wissenschaftlichen Vulgata-Edition zum Alten Testament vor, herausgekommen fast siebzig Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes (1926). Herangezogen wurden zur Texterstellung 26 Handschriften, ab dem Codex Amiatinus aus dem frühen 8. Jh. bis zu Zeugen des 13. Jh., weiters zwei Reste von Bibelhss. aus dem 6. bzw. 9. Jh. und acht Editionen; berücksichtigt sind auch die indirekte Überlieferung und die alten neben der Vulgata erhaltenen Fassungen. Alle Lesarten der Vulgata-Hss. sind im textkritischen Apparat verzeichnet mit Ausnahme der reinen Orthographica; bei nicht gesicherter Texterstellung ist auf die Behandlung der Stelle in der Einleitung verwiesen (für Philologen ist die Kennzeichnung von Konjekturen mit †† etwas verwirrend). In einer kurzen Appendix sind die Orthographica der Personen- und Ortsnamen zusammengestellt.

Die auffallend fehlerhafte Vulgatafassung beruht auf einer Rezension, die in spanischen Hss. des 9. und 10. Jh. und in einer von einer spanischen Vorlage abstammenden Hs. des frühen 9. Jh. (heute in Lyon, = L) belegt ist. Deswegen darf man jedoch bei einer fehlerhaften Stelle nicht an die Möglichkeit denken, der Ersteller der Vulgataversion habe eine in westgotischer Schrift geschriebene Vorlage vor sich gehabt, in der die Buchstaben u und a leicht vertauscht werden konnten (LIV zu II Mcc 10,13; s. auch weiter unten in dieser Rez.): Diese auf spätantiken Schriften beruhende Minuskel ist erst im frühen 8. Jh. nachweisbar; die Vulgatarezension muß älter sein, denn in der Bibliothek zu Durham gibt es einen Rest jener Vulgatahandschrift, die der unter Abt Ceolfrid von Wearmouth und Jarrow (689-716) geschriebene codex Amiatinus für die Macchabeerbücher verwendete, und diese ist im 6. Jh. in Italien geschrieben.

An mehreren Stellen erkennt man, daß der Ersteller der Vulgatafassung einen etwas verdorbenen Text als Vorlage vor sich hatte und diesen manchmal noch verschlechterte: etwa 2Mcc 4,19, wo es heißen sollte misit Iason ... ab Hierosolymis spectatores (so Ambrosius, ep. extra coll. 10,9); in seiner Vorlage fand der Bearbeiter den durch Haplographie entstandenen Fehler peccatores und setzte statt der Verbesserung vor peccatores noch viros. Daher ist es oft schwer zu entscheiden, ob ein Fehler auf den Archetypus zurückgeht und damit verbessert werden kann oder ob er der Nachlässigkeit des Bearbeiters oder dessen Vorlage zuzuschreiben ist und nicht korrigiert werden darf. Nur siebenmal wird ein Archetypusfehler vermutet und verbessert (LIIIff.), alle übrigen Auffälligkeiten sind beibehalten, auch dann, wenn sie wenig oder keinen Sinn ergeben; wie z. B. 1Mcc 15,3 electum feci multitudines exercitus (mit dem Amiatinus bietet ein Teil der Hss. electum feci multitudinem): in der Einleitung findet sich dazu die Erklärung "lectionem difficiliorem edidimus, quippe quam librarii sua sponte suoque Marte ponere vix potuerunt" (LXI), doch läßt sich diese Stelle leicht mit Annahme einer e/i-Vertauschung im Archetypus heilen zu electum feci multitudinis (2Mcc 14,24 ist der Archetypusfehler uero für uiro korrigiert), oder 1Mcc 6,37, wo es von den zur Schlacht eingesetzten Elephanten heißt: super singulas (sc. bestias) viri virtutis triginta duo qui pugnabant / desuper et intus magister bestiae: nach dem griechischen Text steht intus für indus und nur dies ergibt Sinn. 2Mcc 10,13 ist dagegen die Lesung des Archetypus Cyprum creditas a Filometore verworfen und die nur im Codex L überlieferte Variante creditus aufgenommen, die jedoch leicht mit a/u-Vertauschung zu erklären ist, war doch dessen Vorlage in westgotischer Schrift geschrieben; creditas ist sicher ein Fehler für credita(m) sibi (s mit darübergeschriebenem i war die übliche sibi-Kürzung und das Schluß-m ist in der Spätantike oft ausgefallen), und das entspricht dem griechischen Text.

Die Editoren waren sich der problematischen Stellen wohl bewußt und haben sie in der Praefatio eingehend besprochen; es muß natürlich mit Fehlern gerechnet werden, die dem Ersteller der Vulgatafassung zuzuschreiben sind, doch sollte man davon ausgehen, daß er nicht einen unverständlichen Text erstellte, und daher evident korrupte Stellen korrigieren oder zumindest kennzeichnen (wie etwa auch 2Mcc 3,13 das sicher falsche regiae). Oder war für die Textgestaltung die Autorität der Vulgataausgabe von R. Weber ausschlaggebend? Es ist auffällig, daß an allen beanstandeten Stellen die Ausgaben übereinstimmen. Trotz dieser Kritik sollte man die große Mühe nicht vergessen, die die Editoren für die Sichtung und Bearbeitung des reichen Materials aufzuwenden hatten, und sich freuen, daß auch zu diesen schlecht überlieferten alttestamentlichen Büchern eine kritische Edition vorliegt.

Michaela Zelzer

Home