Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Festschriften und Kongreßakten zum Jubiläumsjahr 1992


Helmut Krasser - Ernst A. Schmidt (Hrsg.), Zeitgenosse Horaz. Der Dichter und seine Leser seit zwei Jahrtausenden. Tübingen: Narr 1996. 487 S. 1 Abb. ISBN 3-8233-4148-0

Fast ausschließlich dem Nachleben des Dichters gewidmet war ein Symposion in Tübingen 1992, dessen Akten Stationen der Horazrezeption vom Mittelalter bis in die neuere deutsche Literatur behandeln. Das Schwergewicht des Bandes liegt naturgemäß auf der literarischen Nachwirkung; doch behandelt H. Krasser ein Beispiel für die Umsetzung der frühen philologischen Auseinandersetzung mit Horaz in die bildende Kunst (Vom Reiz der Chronologie und hermeneutischer Lust. Zum Titelkupfer der Horazausgabe des Abbé Sanadon, 14-19) und M. H. Schmid die frühen deutschen Horazvertonungen aus dem Humanistenkreis um Konrad Celtis und ihre Bedeutung für die Musikgeschichte (Musica theorica, practica und poetica. Zu Horaz-Vertonungen des deutschen Humanismus, 52-67). Zu den die literarische Nachwirkung behandelnden Aufsätzen ist zu bemerken, daß sie (in weiser Beschränkung) von dem unten erwähnten Beitrag zum Mittelalter abgesehen fast ausschließlich die Horaznachfolge in den nationalsprachlichen Literaturen (quantitativ überwiegend der englischen und deutschen) betreffen, also die neulateinische Horaznachfolge überhaupt nicht berühren. Einzelne Aufsätze aus diesem Bereich seien im folgenden exemplarisch vorgestellt.

Der Rezeption des Dichters im Mittelalter widmet sich nur ein Aufsatz: Benedikt Karl Vollmann (Erziehung zur Humanität: Horaz und die Satire des 11. Jahrhunderts, 36-51) setzt sich kritisch mit dem von Ludwig Traube geprägten Begriff einer 'aetas Horatiana' auseinander und stellt am Beispiel des Satirikers Sextus Amarcius und des satirischen Tierepos Ecbasis cuiusdam captivi den Einfluß der Satiren und Episteln des Horaz (auf die sich bekanntlich die Nachwirkung des Dichters im Mittelalter weitgehend beschränkte) auf Grundstimmung und Ethos der satirischen Dichtung des 11. Jh. dar. Eine Detailkritik ist anzufügen: Eigenartigerweise zitiert V. ausgerechnet den einzigen mittelalterlichen Nachahmer des Lyrikers Horaz, Metell von Tegernsee, als einen der "Autoren, die ganz überwiegend Vergil in ihren Werken zitieren" (37), eine zumindest irreführende Bemerkung. - Zur neuzeitlichen Horaznachwirkung: Einer der interessantesten Aufsätze des Bandes ist gewiß der Beitrag des Herausgebers Ernst A. Schmidt (Horaz und die Erneuerung der deutschen Lyrik im 18. Jahrhundert, 255-310). An vier Themenkreisen, "Freude", "Freundschaft", "Die Sprache", "Die Bewegung" beschreibt S., was an der deutschen Lyrik des 18. Jh. als von Horaz angeregt gelten kann und welche Folgen innerhalb der deutschen Literatur die auf die Horazlektüre zurückgehenden Einzelmotive, -themen und -formen hatten, von denen vielfach eine eigene Tradition ihren Ausgang genommen hat. Das in dieser Arbeit vorgestellte Spektrum ist beeindruckend: der Bogen spannt sich von den Anfängen der klassizistischen deutschen Lyrik jeweils bis zu den berühmtesten Gedichten der Weimarer Klassik, und die solcherart hergestellte Kontinuität betrifft neben motivischen auch sprachliche Elemente sowie das Selbstverständnis des Dichters als eines Erneuerers einer lyrischen Tradition, in dem sich die Dichter des 18. Jh. mit Horaz treffen konnten. Zweifellos - und auch darauf weist S. hin - liegt der besondere Wert dieser 'horazischen' Traditionen innerhalb der deutschen Literatur auch darin, daß ihre Kenntnis umgekehrt unser Verständnis für die horazische Lyrik vertiefen kann (e. g. für den Prozeßcharakter des Gedichts). - Das Bild des Dichters Horaz in der neueren deutschen Literatur, ausgehend von Brecht und Heiner Müller, und sein Verhältnis zu den sich wandelnden Positionen der Horazphilologie behandelt Volker Riedel (Zwischen Ideologie und Kunst. Bertolt Brecht, Heiner Müller und Fragen der modernen Horaz-Forschung, 392-423). Obwohl der Autor dieser Auffassung expressis verbis widerspricht (422 Anm. 135), gewinnt man bei der Lektüre des interessanten Überblicks den Eindruck, daß sich die Rezeption des Horaz in der deutschen Dichtung seit Brecht in immer stärkerem Maße eingeengt und zum (negativ) Klischeehaften hin verschoben hat.

Zwei Horazinterpretationen im engeren Sinne folgen: erwähnt sei Michael J. C. Putnams Interpretation von c. 3, 14 (Horace C. 3,14 and the Designing of Augustus, 442-463), die auf den ambivalenten Charakter des Gedichts abzielt - vielleicht mit etwas zu starker Betonung des Negativen, i. e. Anti-Augusteischen (muß der Umstand, daß der zu erwartende Hymnus im zweiten Teil nicht folgt, notwendig als recusatio und somit als implizite Kritik gelesen werden? Ist nicht gerade der 'private' zweite Teil des Gedichts eine Form des Lobes für den Herrscher, der diesen privaten Frieden ermöglicht?).

Indices schließen den interessanten (nicht überall sorgfältig korrekturgelesenen: so wird 143 ein Gedicht von Ben Jonson auf 1929 datiert, korrekt 132: 1629) Band ab.

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