Wiener Studien- Rezension

Kommission für antike Literatur und lateinische Tradition

Rezensionen


Tragedy, Comedy and the Polis. Papers from the Greek Drama Conference Nottingham, 18-20 July 1990, ed. by Alan H. Sommerstein - Stephen Halliwell - Jeffrey Henderson - Bernhard Zimmermann. Bari: Levante Editori 1993. 617 S. 5 Abb. ("le Rane" Collana di Studi e Testi. Studi. 11.) ISBN 88-7949-026-5

Dieser Band, der einen von den Hrsg. organisierten Kongreß dokumentiert, enthält Beiträge von solcher Wichtigkeit, daß eine ausführliche Charakterisierung unerläßlich ist. Die einzelnen Arbeiten sind teils Zusammenfassungen oder Überblicksdarstellungen, teils einzelnen Problemen der Drameninterpretation gewidmet. Ich folge der von A. Sommerstein gewählten Anordnung.

R. Osborne gibt einen Überblick über den athenischen Wettbewerbs-Festkalender und verbindet damit die Frage nach einer möglichen Orientierung politischer Entscheidungen (Wahlen) an den Daten der Festaufführungen. B. Zimmermann untersucht Entstehung und literarische Bedeutung der Dithyrambenliteratur, mit einem Überblick über die Forschungsgeschichte. A. J. Podlecki untersucht, mit aller gebotenen Vorsicht, "the concept of leadership in Aeschylus", also die Zeichnung einiger Protagonisten des Aischylos auf einen möglichen Hintergrund in realen Personen, Politikern und rhetores der Zeit. W. Rösler wirft (nach Th. A. Szlezák, RhM 124, 1981) noch einmal auf "Die Frage der Echtheit von Sophokles, Antigone 904-20 und die politische Funktion der attischen Tragödie": Rösler argumentiert entschieden gegen die Echtheit dieser umstrittenen Partie, des ,Kalküls' der Antigone, und für eine Abhängigkeit von Herodot 3, 119 und versucht zu zeigen, daß die Argumentation, etwas "mit Gewalt gegen die Bürger" (Vers 907) tun zu wollen, in der Situation des Stückes dem angeredeten Chor gar nicht entspricht und eigentlich ins Leere geht. Das mag man annehmen, doch hat schon K. Reinhardt darauf verwiesen (Sophokles 4, 1976, 92f.), daß es in der Aussage der Antigone nur um den νόμος geht, den νόμος der Geschwisterliebe. Dennoch, ich meine, man kann versuchen, das Problem viel einfacher durch ein Verschieben des seit jeher ans Ende von Vers 906 gesetzten Kommas zu beseitigen: (906) οὔτ᾽ εἰ πόσις μοι κατθανὼν ἐτήκετο / (907) βίᾳ πολιτῶν, τόνδ᾽ ἂν ᾐρόμην πόνον. Nicht der Gatte, gewiß aber ein Bruder ist ihr "im Tod dahingeschwunden durch Gewalt seitens der Bürger"! - H. P. Foley untersucht Stellung und Bedeutung der Totenklage in der Helena des Euripides, Sophokles` Antigone, den Choephoren und den Schutzflehenden des Aischylos. Ein ganz anderes Thema wird von B. Heiden behandelt: Brachten Schauspieler Emotionen in ihre Rollen ein, ,verwandelte' sich der Schauspieler gar in die dargestellte Figur, spielten Phänomene wie Lampenfieber eine Rolle bei Tragödienaufführungen? (Für Lampenfieber gibt es keinen antiken Beleg.) Die ausgewählten Zeugnisse zeigen, wie wenig wir letztlich über diese Dinge wissen. S. Saïd untersucht alle Dramen, die in Argos spielen, und versucht "to locate Argos in the ,mental map' of the Greeks". E. Krummen untersucht die Beziehungen zwischen der Polis und den ländlichen attischen Bezirken im Oidipus auf Kolonos und in den Schutzflehenden und der taurischen Iphigenie des Euripides. R. Friedrich beleuchtet die politischen Hintergründe der euripideischen Medea und stellt die Frage nach den formalen Möglichkeiten eines Überschreitens des Polis-Rahmens, weltanschaulich und gesellschaftlich; C. W. Müller verfährt ähnlich mit dem verlorenen Philoktet des Euripides (aufgeführt zusammen mit Medea, Diktys und den Theristai im Jahre 431). E. Craik befaßt sich mit der komödienhaften Offenheit, mit der Euripides im Hippolytos und in der Helena Wirkungen des Eros zeigt (mit einer Interpretation von Hipp. 373-430). E. Hall zeigt verschiedene Ebenen im Orestes auf und behandelt schließlich die politischen Implikationen des Stückes ebenso wie die darin gespiegelten weltanschaulichen Auffassungen der Zeit. M. W. Blundell untersucht Kolonos als Szenerie des sophokleischen Spiels im Unterschied zur Stadt Athen, zeigt gleichzeitig aber den Versuch des Dichters, das Numinose des Heiligtums auf die Theseus-Stadt wirken zu lassen. - J. Henderson, "Comic hero versus political élite", versucht eine Gegenüberstellung von positivem ,Helden' und politischem Gegenspieler, auf der Bühne oder unter den Zusehern (Kleon!). St. Halliwell berichtet über die athenische Gesellschaft und ihren Umgang mit Vorformen von Massenmedien, warnt jedoch davor, die Komödie zu sehr als Reflex tagesaktueller Ereignisse zu sehen. G. Mastromarco untersucht nochmals genau die Zeugnisse, die Aristophanes und Kleon in Acharnern, Rittern und Wespen verbinden. D. M. MacDowell kommentiert einige Aussagen bei Aristophanes, in denen sich ein tatsächlich nicht das Bürgerrecht Besitzender als Athener ausgibt, denn man hat oft gemeint, daß dieses Faktum vom Dichter als Mittel der Herabsetzung gebraucht wird - ob die Tatsachen nun entsprechen oder nicht. I. C. Storey, "Notus est omnibus Eupolis?" (Macrobius, Sat. 7, 5, 8), stellt Zeugnisse und gelehrte Arbeit zu diesem Dichter übersichtlich zusammen. N. W. Slater behandelt Fragen der Aufführungspraxis am Beispiel der Acharner, im besonderen Fragen der Raumvorstellung (illusionistische Zeichnung oder tatsächliche Darstellung räumlicher Gegebenheiten ?) - und betont letztlich unseren Mangel an Informationen in diesen Dingen. E. W. Handley behandelt einzelne Andeutungen von Generationenkonflikt in Aristophanes, D. Konstan stellt Beispiele für bildhafte Vergleiche in der Lysistrate zusammen. K. J. Dovers Beitrag zu den Fröschen ist inzwischen in die Einleitung zu seiner Ausgabe des Stückes aufgenommen worden (ch. 3/2; vgl. WSt. 110, 1997, 262f.). A. H. Sommerstein über die Wiederaufführung der Frösche an den Lenäen des Jahres 404 und die Frage von Textwiederholungen. M. S. Silk, "Aristophanic paratragedy", behandelt Tragödieneinflüsse bei Aristophanes (Ritter, Frösche) und Fragen von nachahmender oder konterkarierender Parodie. P. Thiercy richtet den Blick (?) auf Gerüche bei Aristophanes. O. Taplin behandelt die Darstellung auf Phlyakenvasen mit Bezügen zur Komödie (inzwischen ausgeweitet zu ,Comic Angels', Oxford 1993; vgl. WSt. 110, 1997, 267f.). H. Kuch und P. Easterling behandeln schließlich einige Aspekte der nachklassischen Tragödie (frühes 4. Jh.).

Der Band wird abgeschlossen durch eine umfassende Bibliographie zur Tragödie. In dieser - wie übrigens auch sonst - stören lediglich unzählige Druckfehler.

Herbert Bannert
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