Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
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Biographie des Monats

Artur Berger: Vom Architekten des „Roten Wien“ zum Filmausstatter der sowjetischen Mosfilm.

Vor 120 Jahren wurde der Filmausstatter, Regisseur, Drehbuchautor, Architekt und Designer Artur (Arthur) Berger geboren. Als Filmarchitekt leistete er Pionierarbeit. Als Architekt beteiligte er sich am Wohnbauprogramm des „Roten Wien“. Die Sowjetunion wurde seine zweite Heimat.

 

Artur Berger wurde am 27. Mai 1892 als ältestes von vier Kindern einer väterlicherseits aus Mähren, mütterlicherseits aus Böhmen zugewanderten jüdischen Familie in Wien 3 geboren. Sein Vater Simon Berger (geb. Bisenz, 23. 11. 1857; gest. London, 22. 12. 1952) war Privatangestellter, seine Mutter Pauline, geborene Beran (geb. Lipschan, 29. 8. 1861; gest. Wien, 20. 11. 1930), Verkäuferin. Seine Schwestern Friederike Berger (geb. Wien, 19. 2. 1894; gest. New York, 15. 12. 1967), ab 10. 5. 1917 verehelichte Hohenberg, und Hilde Berger (geb. Wien, 1. 11. 1895; gest. London, 22. 6. 1955), ab 12. 8. 1919 mit dem Schriftsteller Fritz Lampl (geb. Wien, 28. 9. 1892; gest. London, 5. 3. 1955) verheiratet, wurden Modedesignerinnen und betrieben einen gemeinsamen Modesalon, sein Bruder Josef Berger (geb. Wien, 13. 9. 1898; gest. London, 22. 8. 1989) avancierte zu einem angesehenen Architekten und Designer.

Ausbildung

Nach Besuch des Gymnasiums, das er mit der Matura abschloss, belegte Berger als außerordentlicher Schüler ein Semester an der k. k. Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt (heute die Graphische) in Wien 14, 1911 begann er die Ausbildung an der Kunstgewerbeschule (heute Universität für angewandte Kunst) in Wien. Hier zählte neben Oskar Strnad Josef Hoffmann zu seinen wichtigsten Lehrern und Förderern: So band ihn Hoffmann auch in eigene Aufträge von den Wiener Werkstätten oder von der Mäzenaten-Familie Primavesi ein.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte jedoch den bevorstehenden Studienabschluss. 1915 an der Isonzofront schwer verwundet, diente Berger bis Kriegsende im Hinterland unter anderem beim k. u. k. Militärbergamt in Belgrad. Dort lernte er 1916 seine erste Frau Ljubica Dobrača (geb. Belgrad, 2. 5. 1895; gest. San Francisco, 1981) kennen, die er am 30. 8. 1919 in Wien heiratete. Im selben Jahr trat Berger aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus.

Erste Erfahrungen beim Film

1918 aus dem Militärdienst entlassen, wurde Berger als erster Filmarchitekt bei der Sascha-Film über ein Empfehlungsschreiben von Josef Hoffmann angestellt und stattete in den Folgejahren über 40 österreichische Filme aus. Regisseure wie Alexander Korda, Michael Kertész, Gustav Ucicky oder Max Neufeld schätzten seine Präzision und modernen Designs. Für Otto Premingers Debütfilm „Die große Liebe“ 1931 (Premiere März 1932; unter anderem mit Hansi Niese, Attila Hörbiger und Hugo Thimig) verfasste er gemeinsam mit Siegfried Bernfeld das Drehbuch. Auch bei dem sozialutopischen Wahlwerbefilm der Sozialdemokraten – „Die vom 17er Haus“ – für die Wiener Landtagswahlen am 24. April 1932 führte er Regie und fungierte (wieder gemeinsam mit Bernfeld) als Drehbuchautor. Berger, der 1933 auch zu den Mitbegründern eines Lehrinstituts für Tonfilmkunst in Wien 1., Bauernmarkt 24, zählte, war während der 1930er-Jahre vor allem dem unabhängigen Filmschaffen des deutschsprachigen Emigrantenfilms verpflichtet.

 

 

 

Bergers Wirken als Designer sowie als Architekt für das „Rote Wien“

Bereits 1923 hatte Berger gemeinsam mit seinem Bruder Josef und seinem Schwager Fritz Lampl, die Möbel-, Glas- und Keramikwerkstätten „Bimini“ gegründet, wobei sie sich auf die Produktion von dekorativen Glaswaren wie Lampen, Gläsern, Vasen sowie expressiv-abstrahierte Glasfigürchen spezialisierten. Daneben arbeitete er für die Wiener Werkstätte und entwarf Bucheinbände und Buchausstattungen für den 1919 unter anderem von seinem Schwager Lampl mitbegründeten „Genossenschaftsverlag“.

Ab 1926 wirkte Artur gelegentlich im Architekturbüro seines Bruders Josef und dessen Studienkollegen Martin Ziegler und beteiligte sich an vier größeren Wohnbauaufträgen der Gemeinde Wien (z. B. 1926–1927 Volkswohnhaus in Wien 3, Schlachthausgasse und 1932–1933 „Johann-Grassinger-Hof“ in Wien 15, Brunhildengasse).

Exil in Moskau

Unter dem Eindruck der Februarkämpfe 1934 bzw. nach dem 1938 erfolgten „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland emigrierte nach und nach die gesamte Familie Berger aus Wien: sein Bruder Josef Berger übersiedelte, nach einer Zwischenstation in Haifa 1934, wie seine Frau, die Malerin Margarete Hamerschlag 1937 nach London; die beiden Schwestern Friederike und Hilde emigrierten mit ihrer Familie nach Amerika bzw. ebenfalls nach London. Der 1939 bereits 82 Jahre alte Vater Simon verließ Wien als letzter und flüchtete zu seinen Kindern nach London.

Artur Berger selbst nahm 1936 eine Einladung der russischen Meschrabpom-Filmgesellschaft nach Moskau an. Hier setzte er seine Filmarbeit als Szenenbildner, vor allem für die Filmproduktionsfirma Mosfilm, bis in die 1970er-Jahre fort. Er heiratete in zweiter Ehe die Dolmetscherin und Übersetzerin Wera I. Markowa und erhielt 1939 die sowjetische Staatsbürgerschaft. Mit dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 wurden die Filmstudios Mosfilm in Moskau und Lenfilm in Leningrad samt etwa 500 Regisseuren, Szenaristen und anderen Spezialisten Ende 1941 nach Alma-Ata (Almaty) verlegt. Berger arbeitete dort 1942–46 unter anderem für das vereinte Filmstudio ZOKS und wirkte als Redaktionsmitglied und Maler bei der Plakataktion der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS.

1948-53 widmete sich Berger vornehmlich dem Theater: So gestaltete er in Frunse (Bischkek) für das Russische Dramatische Theater, das Kirgisische Russische Dramatische Krupskaja-Theater sowie das Staatliche Theater zahlreiche Opern- und Ballettinszenierungen. 1950 erhielt er die Ehrenurkunde des Obersten Sowjets der Kirgisischen SSR für seine Leistungen als Bühnenmaler.

26 Filme sind belegt, bei denen Berger während seiner Zeit in der Sowjetunion als hauptverantwortlicher Ausstattungskünstler unter anderem für Aleksander Matscheret („Moorsoldaten“, 1939), Boris Barnet („Der alte Reiter“, 1940 und „Annuschka“, 1959), Wsewolod Pudowkin („Die Mörder machen sich auf den Weg“, 1942) oder Leonid Gajdaj („Operation ‘Y‘ und andere Abenteuer von Schurik, 1965) mitgearbeitet hat. 1969 wurde er für seine Leistungen mit dem Titel „Verdienter Maler der RSFSR (Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik)“ ausgezeichnet.

Artur Berger, zeitlebens überzeugter Sozialdemokrat und Antifaschist, mied in der Sowjetunion Funktionen und politische Ämter. Er galt als außergewöhnlich bescheiden und genoss unter seinen Kollegen und Mitarbeitern Respekt und hohes Ansehen. Er verstarb am 11. Jänner 1981 in Moskau.

 

Literatur: Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien 1, 1992; Saur allgemeines Künstlerlexikon 9, 1994; Helmut Weihsmann, Das Rote Wien, 2002, s. Reg.; Iris Meder, Offene Welten. Die Wiener Schule im Einfamilienhausbau 1910–1938, phil. Diss. Stuttgart 2002, S. 243; Helmut Weihsmann, In Wien erbaut, 2005; Vrääth Öhner, DIE VOM 17ER HAUS. Ein Spielfilm für die Wiener Landtagswahlen am 24. April 1932, in: Arbeiterkino. Linke Filmkultur der Ersten Republik, ed. Christian Dewald, 2007, S. 77–88; DIE VOM 17ER HAUS, A 1932, Regie: Artur Berger, in: Proletarisches Kino in Österreich. DVD-Box mit Spiel- und Dokumentarfilmen der österreichischen Arbeiterbewegung, ed. Christian Dewald – Michael Loebenstein, 2007; Inge Scheidl, in: Architektenlexikon Wien 1770–1945, http://www.architektenlexikon.at (Zugriff 20. 1. 2012); Artur Berger – Architekt/Kudoshnik (Arbeitstitel), ed. Christian Dewald - Werner Michael Schwarz, 2012 (Dem Band wird eine DVD mit einem Essayfilm zu Artur Berger, Regie: Dewald/Schwarz, beiliegen); Mitt. Aleksandr Berger, Moskau.

(Christian Dewald)


Das Institut Österreichisches Biographisches Lexikon dankt Herrn Dr. Christian Dewald vom Filmarchiv Austria für die freundliche Erlaubnis zur Verwendung der Bilder.